Jürgen Malitz: Gnomon Bibliographische Datenbank. Internationales Informationssystem für die Klassische Altertumswissenschaft. 7. Auflage München: Beck 2000. DM 598,-- (Vorzugspreis für Bezieher des Gnomon: DM 498,--), jährliche Updates DM 298,--.

Für das Telemachos-Projekt veränderte und ergänzte Vorabversion der in der Zeitschrift Gymnasium erscheinenden Besprechung durch Ulrich Schmitzer  

Schon im Jahr 1995 warnte die deutsche Hochschulrektorenkonferenz vor einer "Provinzialisierung der Literaturversorgung, die den internationalen Standard der deutschen Wissenschaft gefährdet". Solche Kassandra-Rufe, die mit ihrem antiken Urbild sowohl die Wahrheit der Botschaft als auch die mangelnde Resonanz gemein haben, sind auch einige Jahre später um nichts weniger berechtigt. Im Gegenteil, die Schere zwischen Wünschbarem und Möglichem klafft aufgrund steigender Buch- und Zeitschriftenpreise einerseits und stagnierenden, allenfalls minimal steigenden Bibliotheksetats andererseits immer weiter auseinander. Abbestellungen von langjährig gehaltenen Zeitschriften, Lücken in den Monographien sind für alle Fächer ein Problem, das die Möglichkeit, Forschung auf aktuellem Niveau zu betreiben, beeinträchtigt oder gar bedroht.

In einer solchen Situation sind umfassende und mit geringer Verzögerung verfügbare bibliographische Hilfsmittel mehr denn je für die Wissenschaft unverzichtbar geworden. Der Nutzen der neuen Technologien, der CD-ROMs und des Internets, ist gerade auf diesem Sektor unmittelbar einsichtig, sofern die technische Realisierung mit entsprechenden Inhalten gefüllt ist. Zwar kann z.B. das Inhaltsverzeichnis einer Zeitschrift nur ein dürftiger Ersatz für Autopsie sein, auch sind die Gebühren für die schnelle elektronische Lieferung mittels Subito inzwischen auf DM 7,-- pro Aufsatz gestiegen (Nutzergruppe 1: Wissenschaftler; bis zu einem Umfang von 20 Seiten)[1], aber es ist immerhin ein Ausweg aus dem Tal bibliographischer Ahnungslosigkeit, sofern man eben einen oder mehrere zuverlässige Führer an der Hand hat.

Subito-Startseite

Einer dieser vertrauenswürdigen Begleiter ist der Ordinarius für Alte Geschichte an der Universität Eichstätt, Jürgen Malitz, der seit Beginn der 90er Jahre daran arbeitet, das in den Bibliographischen Beilagen zum "Gnomon" gesammelte Material in einer Datenbank aufzuarbeiten und den Mitforschern zur Verfügung zu stellen. Seit 1994 wird diese Sammlung als "Gnomon Bibliographische Datenbank" (GBD) auf CD-ROM vom Beck-Verlag vertrieben und befindet sich damit unter demselben Dach wie der "Gnomon" selbst. Über die grundsätzliche Anlage des Projekts und seinen hohen Wert für die Altertumswissenschaft wurde vom Rezensenten schon im Gymnasium 105 (1998) 240-242 berichtet.[2] Hier nun geht es um den Stand, der mit dem "6. Update" (traditionell gesprochen: also der 7. Auflage) erzielt wurde.

Grundlage ist immer noch das Datenbanksystem "Lidos"[3], inzwischen in der Version 4.1 (für Win3x und höher). Die Installation läßt sich problemlos durchführen, je nach vorhandenem Speicherplatz und verfügbarer Rechnerkapazität können verschiedene Modi gewählt werden.[4] Am schnellsten gehen die Recherchen vonstatten, wenn man Programm und Datenbank auf die Festplatte des Computers kopiert, aber auch wenn man ausschließlich von der CD aus arbeitet, ist selbst bei relativ langsamen Geräten ein annehmbares Arbeitstempo zu erzielen (z.B. dauert mit einem Pentium 133, Win95b, 32 MB RAM, 10fach CD-Laufwerk - der Konfiguration, mit der auch oben erwähnte Besprechung der Vorgängerversion erstellt wurde - eine Volltextrecherche über die 243 248 erfaßten Dokumente weniger als 45 Sekunden).

Gnomon Startseite

"Lidos" ist ein leistungsfähiges, aber gewöhnungsbedürftiges Programm, die Lektüre des mitgelieferten Handbuches ist dringend anzuraten, da ein nur auf die Intuition gestütztes Arbeiten bei weitem nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen kann (als störend empfindet der Rezensent, daß für viele Operationen stets die Maus benötigt wird und der schnellere Weg über Tastatur-Shortcuts nicht vorgesehen ist). Dafür aber lassen sich die Recherchen gezielt (z.B. nach Verfasser, Titel, Jahr) durchführen, die Ergebnisse problemlos bearbeiten und sortieren und - besonders schön - leicht teilweise oder vollständig exportieren: ob direkter Ausdruck, Umleitung in eine Datei oder Export unmittelbar in Word für Windows, das läßt sich vom Anwender selbst bestimmen. Die Migration auf die neue Lidos-Version hat den Gebrauchswert der "Gnomon Bibliographischen Datenbank" weiter gesteigert. Die "Database of Classical Bibliography" beispielsweise (die in der Version 2 die Jahrgänge 1974 bis 1989 der L'Anneé philologique umfaßt) ist wesentlich unflexibler, obendrein ist das Projekt, die sukzessive Erfassung weiterer Jahrgänge, offenbar ins Stocken geraten.

Die GBD umfaßt die Jahrgänge des "Gnomon" seit 1,1925, außerdem die Anzeigen in der Bibliographischen Beilage seit 1990. Das wird ergänzt durch zusätzliche Titelaufnahmen z.B. aus altertumswissenschaftlichen Zeitschriften, die komplette Erfassung von wichtigen Nachschlagewerken wie RE, Neuer Pauly, Oxford Classical Dictionary oder auch dem Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae. Hinzu kommen die altertumswissenschaftlichen Monographien und Dissertationen der UB Eichstätt, die nach dem sog. Regensburger System signiert sind und deshalb auch als systematische Bibliographie genützt werden können. Dieser "Mehrwert" gegenüber der gedruckten bibliographischen Beilage, der obendrein wesentlich bequemer und genauer zu durchsuchen ist als auf dem traditionellen Weg des Exzerpierens, Querlesens oder Blätterns, ist zusätzlich durch die Benutzung der GBD zu erzielen.

Stichproben zeigen, daß das selbstgesteckte Ziel, diesen definierten Bereich des bibliographischen Materials zu erschließen, weitestgehend erfüllt ist. Einige Doppeleintragungen (z.B. A. Uhl: Servius als Sprachlehrer ist einmal nur als Monographie 1998, ein zweites Mal als Monographie 1998 und Dissertation 1996 erfaßt; E. Fantham ist sowohl als "Hg." als auch als "Ed." von Ov. fast. 4 genannt) und Schreibfehler (z.B. "Uhl, Alfons 1997" statt recte "Uhl, Anne"), wohl auf die manuelle Dateneingabe zurückzuführen, beeinträchtigen den Nutzen der Datenbank kaum, so schwer sie im einzelnen nachträglich zu korrigieren sein mögen, da sie sich systematischem Zugriff entziehen.[5]

Ergebnisliste

Ein wenig problematischer sind für den Benutzer unerwartete Lücken. Etwa ist der erste Halbband der RE nur selektiv erfaßt: Während z.B. Reisch, Art. Aktia, RE 1,1893,1213f. fehlt, ist der auf derselben Seite beginnende Art. Aktion (Hirschfeld, 1214f.) aufgenommen, anders als die unmittelbar folgenden beiden Einträge zu Aktios (1215). Oder ein zweites Beispiel: Es ist nicht vorauszusehen, daß der Jahrgang 6 (1987) der "Echos du monde classique" so gut wie vollständig erfaßt ist, der Jahrgang 7 (1988) aber gar nicht und 9 (1989) erst beginnend mit Heft 3 (wobei wiederum der erste Artikel des Heftes, P. Murgatoyd: The Amatory Epigrams of Rhianus, 301-314 fehlt). Wenn es dafür aus der Sicht der Bearbeiter eine Ratio gibt, dann wäre es hilfreich (wenn auch gewiß mit erheblicher Arbeit verbunden), z.B. auf der Eichstätter WWW-Seite eine Dokumentation des Erfassungsgrades bestimmter Zeitschriften oder Serien zu finden.

Einzeltreffer

Aber diese Monita sind angesichts des Gesamtergebnisses, der in der GBD- vorliegt, nur von marginaler Bedeutung. Wichtiger ist wohl der Hinweis darauf, daß der den Eintragungen zugrundeliegende Thesaurus ca. 3000 Stichworte umfaßt und auch unmittelbar zur Recherche genützt werden kann. Er dient so als eine Art von großem Schlagwortregister für die Antike.

Thesaurus

Wer weiß, was er von der GBD erwarten kann, nämlich ein Hilfsmittel, das sehr viele, vor allem neuere Titel der Forschungsliteratur zur Antike erfaßt, aber Vollständigkeit weder anstrebt noch erzielen kann, der kann das Programm als Ausgangsbasis für weitergehende Recherchen, als Mittel für Arbeits- und Seminarbibliographien, als Korrektiv eigener und fremder Literatursuche nützen und wird nicht enttäuscht werden.

Gnomon online

Die GBD ist so zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel geworden, das natürlich der Ergänzung durch andere - traditionelle und elektronische aufbereitete (siehe dazu http://www.kirke.hu-berlin.de/ressourc/ressourc.html#bibl) - Bibliographien bedarf. Besonders nützlich ist dabei die ergänzend im WorldWideWeb bereitsgestellte "Gnomon online"-Bibliographie (http://www.gnomon.ku-eichstaett.de), die zwischen den jeweiligen Updates der Gnomon-CD den Materialzuwachs dokumentiert und verfügbar macht (allerdings ist seit Januar 2000 der Bestand dieser kostenlos verfügbaren WWW-Seiten stark reduziert, um tatsächlich als Ergänzung, nicht als Konkurrenz zur CD-Version zu fungieren). Der hier besprochene Stand der Datenbank ist als konsequente Fortsetzung des vor gut 10 Jahren eingeschlagenen Weges zu würdigen, eine Kontinuität, die gerade bei den EDV-basierten Projekten zur Antike nicht immer selbstverständlich ist. Bei unserer Besprechung der Ausgabe von 1996 hatten wir als Beispiel die Recherche nach dem Thesaurus-Begriff "Velleius" gewählt und dabei 45 Treffer erhalten, die Ausgabe 2000 liefert nunmehr 70 Treffer, eine Volltextsuche nach "Vell" (im Ergebnis um unzutreffende Einträge, z.B. "Velletri") bereinigt, ergab seinerzeit 58 Treffer, jetzt 92. Auch durch solche Zahlen läßt sich der Fortgang der Arbeit illustrieren.

Thesaurussuche: Velleius

Der Rezensent kann ohne Übertreibung feststellen, daß so gut wie kein Arbeitstag vergeht, an dem er nicht die GBD oder die online verfügbaren Ergänzungen konsultiert.

Die "Provinzialisierung der Literaturversorgung" kann weder durch die "Gnomon Bibliographische Datenbank" noch durch andere elektronisch verfügbare Bibliographien kompensiert werden, wohl aber lassen sich die Auswirkungen lindern. Daß der Beck-Verlag dafür einen nicht unerheblichen Preis verlangt, der Einzelpersonen wohl von der Anschaffung eher abschreckt, sei vermerkt, allerdings kann ein Privatunternehmen auch nicht dazu verpflichtet werden, die Defizite staatlicher Forschungsförderung durch Subventionen auszugleichen.


Anmerkungen

[1]: Siehe die jeweils aktuellen Informationen unter http://www.subito-doc.de/

[2]: Zum Stand von 1996 siehe auch B. Stickfort, Die "GNOMON. Bibliographische Datenbank", in: M. Fell, W. Spickermann, L. Wierschowski (Hrsg.), Machina computatoria. Zur Anwendung der EDV in den Altertumswissenschaften, St. Katharinen 1997 (Computer und Antike 4) 145-158.

[3]: Nähere Informationen unter http://www.land-software.de

[4]: Allerdings gelang es dem Rezensenten nicht, unter WinNT 4 (SP 5) die Installation so durchzuführen, daß die Gnomon-Daten stets sofort zur Arbeit zur Verfügung stehen. Es muß stets ein Zwischenschritt (Auswahl der Dokumentation) durchgeführt werden, während dieser unter Win95, Win98 und Windows ME (den anderen getesteten Betriebssystemen) entfallen kann.

[5]: Eine Anregung: Vielleicht wäre es sinnvoll, auf der WWW-Seite (s.u.) ein Mailformular zur Verfügung zu stellen, das für Mitteilungen über solche und ähnliche Versehen dient.

 
URL dieser Seite: http://www.telemachos.hu-berlin.de/database/libri/gnomon2.html

Erstveröffentlichung: 23. September 2000 Letzte Änderung: 27. April 2003
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