Auch hier können
wir für unsere moderne Thematik einen antiken Text nützen, ein textum, ein
Gewebe, das durch seine Struktur verknüpft, was inhaltlich nur in loser
Verbindung miteinander steht:
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Maeonis elusam designat imagine tauri
Europam: verum taurum, freta vera putares;
ipsa videbatur terras spectare relictas
et comites clamare suas tactumque vereri
adsilientis aquae timidasque reducere plantas
...
omnibus his faciem que suam faciemque locorum
reddidit. est illic agrestis imagine Phoebus,
utque modo accipitris pennas, modo terga leonis
gesserit, ut pastor Macareida luserit Issen,
Liber ut Erigonen falsa deceperit uva,
ut Saturnus equo geminum Chirona crearit.
ultima pars telae tenui circumdata limbo
nexilibus flores hederis habet intertextos.
Arachne webt Europa, die sich vom Trugbild eines Stiers täuschen ließ. Man
könnte glauben, einen wirklichen Stier, ein wirkliches Meer zu sehen. Europa
selbst schien nach dem verlassenen Gestade zurückzublicken, nach ihren
Gefährtinnen zu rufen, sich davor zu fürchten, das hochspritzende Wasser
könne sie erreichen, und ängstlich die Füße anzuziehen. ... Diesen allen gab Arachne die rechte Gestalt und den rechten Ort der Handlung. Dort steht im
Gewand eines Bauern Apollo; man sieht auch, wie er sich bald in
Habichtsgefieder, bald in eine Löwenhaut hüllte, wie er als falscher Hirt
Isse, des Makareus Tochter, verführte. Man sieht, wie Bacchus als
trügerische Traube Erigone überlistet, wie Saturn in Pferdgestalt den
Zentauren Chiron gezeugt hat. Den schmalen Saum am Rand des Gewebes
schmücken Blumen, mit Efeuranken verflochten.
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Dieser Text - dieses Gewebe von Worten - stammt aus dem sechsten Buch von
Ovids Metamorphosen, vom Wettstreit zwischen Minerva und Arachne darum, wer
den besten Teppich - also ein Gewebe aus Fäden und Bildern - schaffen könne.
Ovids Arachne nun ist in der noch jungen Geschichte des WWW oftmals als eine
Art von archetypischer Verkörperung des im Internet herrschenden Geistes
gesehen worden. So nennt sich etwa eine Firma für "Webdesign, Consulting,
Programmierung für klein- und mittelständige Unternehmen" hier in Jena
Arachne (http://arachne.infonet-thueringen.de/noframes/index.html) und
bietet auf ihrer Startseite eine kurze Zusammenfassung des Mythos. So etwas
ist natürlich ein willkommener Anknüpfungspunkt, um das Weiterleben antiker
Namen zu beleuchten, dagegen ist die Seite http://www.arachne.de für Un-
terrichtszwecke nicht bedenkenlos als Illustration zu verwenden, ist sie
doch der Sitz eines SM-Studios.
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Auch Ovid selbst ist ein gutes Beispiel dafür, was das Internet für die
praktische Arbeit leisten - und was es nicht leisten kann. Dieser Autor ist
auch deshalb als Paradigma geeignet, weil seine Dichtungen zwar in
unterschiedlicher Auswahl und auf unterschiedlichen Klassenstufen, aber doch
wohl zum unbestrittenen Kanon des im Lateinunterricht Gelesenen zählen.
Der üblicherweise erste Schritt, sich einen Überblick über das im WWW
Gebotene zu verschaffen, besteht darin, eine der gängigen Suchmaschinen wie
www.altavista.com aufzurufen und "ovid*" einzugeben, das "*" steht für die
Trunkierung, so daß auch Wortformen vom Typ "Ovids", "Ovidius", "Ovidfor-
schung" etc. erfaßt sind. Das Suchergebnis muß schockieren, Altavista
liefert - bei einer Suche am 16. Februar - insgesamt 240 120 Treffer, mehr
als ein einziger Mensch zeit seines Lebens auch nur durchsehen kann. Auch
die deutschsprachige Suchmaschine MetaGer kennt zum gleichen Zeitpunkt
immerhin noch fast 7000 Treffer. Des Rätsels Lösung besteht darin, daß es
ein vor allem in den Naturwissenschaften und der Medizin verbreitetes Daten-
banksystem gibt, das den Namen Ovid trägt und das von einer gleichnamigen
Firma getragen wird.
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Wir brauchen also einen anderen Weg, um unserem Publius Ovidius Naso ein
wenig näher zu kommen. Deshalb ist es sinnvoll, sich einer speziellen
Suchmaschine wie Argos zu bedienen, weil dort nur altertumswissenschaftliche
WWW-Angebote recherchiert werden - 580 Einträge sind auch wesentlich
erträglicher als fast eine Viertelmillion. Oder, sofern existent, man greift
zu einem thematisch orientierten Katalog, der gewisserma&szlg;en redaktionell
betreut ist, in unserem Fall die KIRKE-Rubrik
Diese Seite läßt sich als Ausgangspunkt nützen für die Suche nach
Basisinformationen, für begleitende Unterrichtsmaterialien und sogar für
Entwürfe ganzer Stundensequenzen.
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Ein wichtiger Aspekt, bei dem das Internet gegenüber allen traditionellen
Wegen einen unbestreitbaren Vorsprung besitzt, ist die Aufarbeitung und
bibliographische Präsentation aktueller Literatur, denn es entfällt die
Verzögerung, die bei der Herstellung eines Manuskripts und der Drucklegung
immer noch anfallen. Vielmehr können bekannt gewordene Titel unmittelbar
eingespeist werden. Für Ovid gibt es nun ein besonders ambitioniertes
Projekt, das die Daten aus der L'Année Philologique - zumindest soweit sie
der amerikanischen Arbeitsstelle zur Verfügung stehen - erfaßt: Sean
Redmond's Recent Ovidian Bibliography.
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Daneben bietet auch "Ovid im WWW" selbst eine umfangreiche bibliographische
Rubrik, die laufend aktuell gehalten wird, aber auch ältere Titel - und vor
allem Standardwerke umfaßt. Wem das nicht genügt, der kann auch die online
verfügbaren Seiten der L'Année Philologique oder von Gnomon online befragen.
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Nun nützt es bisweilen wenig, wenn man zwar die Titel aktueller Ovid-Bücher
hat, aber nichts über ihren Inhalt weiß. Ein hervorragende Möglichkeit, sich
schnell zu informieren, sind hier die Besprechungen in der BrynMawr
Classical Review, die entweder im kostenlosen Email-Abonnement ins Haus
kommen oder auf der entsprechenden WWW-Seite abgerufen werden können. Diese
Besprechungen sind meist so nah am originalen Publikationsdatum, daß in anderen Zeitschriften gerade einmal die Auflistung in der eingelaufenen
Literatur vorgenommen worden ist. Außerdem läßt die elektronische
Publikation auch längere Besprechungen zu, als es ein stets auf den zur
Verfügung stehenden papierenen Raum bedachter Herausgeber konventioneller
Zeitschriften zulassen kann. Die Ovid betreffenden Rezensionen (auch aus an-
deren, ähnlichen Publikationen) sind wiederum auf der Seite "Ovid im WWW"
aufgelistet. Die Zahl der im WWW verfügbaren Originalbeiträge ist dagegen
geringer, immerhin nicht gleich null. Etwa gibt es Franz Bömers Beitrag "Der
Erzähler Ovid" aus dem letzten Heft des Gymnasium seit langem auch im WWW zu lesen.
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Das in den meisten Fällen zutreffende Motiv, eine solche Seite aufzusuchen,
dürfte aber die konkrete Vorbereitung auf eine Einzelstunde oder
Stundensequenz sein. Wer vor allem Bildmaterial finden möchte, das als
Illustration etwa zur Behandlung einzelner Sagen geeignet ist, der sei auf
folgende Seiten verwiesen:
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The Ovid Project - Metamorphosing the Metamorphoses an der University of
Vermont (http://www.uvm.edu/~hag/ovid/index.html): In gewisser Weise der Ausstellung vergleichbar, die im letzten Jahr
unter der Ägide von Frau Huber-Rebenich hier in Jena zu sehen war: Die
Illustrationen der Ausgaben von Baur (1704) und - in Auswahl - Sandys (1640)
sind in guter Qualität verfügbar. Man kann sie entweder direkt ausdrucken
und so beispielsweise eine Overheadfolie gewinnen oder abspeichern und etwa
für Arbeitsblätter weiterverarbeiten. |
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In eine ähnliche Richtung zielen die Aktivitäten des Electronic Text Centers
der University of Virginia, wo z.B. die Metamorphosen-Ausgabe von 1563 mit
den Illustrationen von Virgil Solis und dem allegorisierenden Kommentar von
Johann Spreng abrufbar ist (http://etext.lib.virginia.edu/latin/ovid/ovid1563.html).
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Eine Alternative zu solchen Buchillustrationen ist die Eichstätter
"Datenbank zur Antike-Rezeption" in der Kunst (http://www.ku-eichstaett.de/SLF/Klassphil/grau/eichst.htm), die vom dortigen
Fachdidaktiker Peter Grau betrieben wird. Aus seiner großen Dia-Sammlung von
Fresken aus Bayern stellt er dort eine repräsentative Auswahl zur Verfügung.
Die Abbildungsqualität ist zwar nicht so hoch wie bei den beiden
vorgenannten Projekten, dafür sind aber auch die Ladezeiten geringer und als
Kopiervorlage oder eine Overheadfolie reicht sie allemal aus. |
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In ähnlicher Weise lassen sich die Möglichkeiten der Visualisierung bei der
Besprechung von Ovids Biographie nützen. Vor allem zu Ovids Heimatstadt
Sulmo, heute Sulmona, gibt es umfangreiches Bildmaterial, das zeigt, wie
sehr der Dichter bis heute in seiner Heimatstadt präsent ist - nicht umsonst
trägt sie SMPE im Wappen: Sulmo mihi patria est, ein Zitat aus der
poetischen Autobiographie trist. 4,10. Weniger spektakulär sind die Seiten,
die sich mit Ovids Verbannungsort Tomi befassen, da aufgrund der
Verhältnisse in Rumänien auch das WWW-Angebot nicht so umfangreich ist. Aber
immerhin läßt sich ein Eindruck davon erhalten, wie sehr Ovid an dem Bild
eines antiken Sibiriens arbeitet, um nur ja seine Rückberufung aus dem Exil
zu erreichen. Mit der Realität hatte das und hat das nichts gemein.
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Auf drei Dokumente, die vielleicht die Stärke des WWW besonders gut
demonstrieren können, sei eigens hingewiesen:
1.
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Wer seinen Schülern nicht immer nur den eigenen Textvortrag bieten möchte,
kann sich Ovid auch vorlesen lassen: Kathleen Coleman, Professorin an der
Harvard University, liest mit nur leicht hörbarem englisch-amerikanischem
Einschlag die Elegie Amores 1,13: http://www.fas.harvard.edu/~classics/poetry_and_prose/amores1.13.html
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2.
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Von der University of Richmond stammt eine Videofassung der Sage von
Philemon und Baucis, wie sie Ovid im 8. Buch der Metamorphosen erzählt. Um
diese Aufzeichnung aber einigermaßen genießen zu können, braucht man eine
sehr schnelle Internetverbindung, mindesten ISDN oder am besten eine
Standleitung. Weniger störend ist, daß das Ganze nicht auf Latein, sondern
auf Englisch dargeboten wird. Denn mir scheint, daß gerade die
Internationalität der Angebote den Schülern deutlicher als jede bloß
theoretische Belehrung zeigen kann, daß man auf der ganzen Welt sich um die
Antike bemüht: http://hermes.richmond.edu/baucis-philemon/index.html
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3.
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Und schließlich sind die Popsongs nach Ovidischen Themen zu nennen, die im
sog. mp3-Format von einem kanadischen Musiker geschaffen und im Netz
kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Auch das ist ein exotischer Genuß,
der aber vielleicht dazu geeignet ist, selbst bei hartnäckigen Verweigerern
der Arbeit am Text ein Gefühl dafür wachzurufen, daß von den antiken Stoffen durchaus Faszination ausgehen kann: http://artists.mp3s.com/artists/25/james_lucas.html
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Der gesamte biographische Komplex, bzw. das, was Ovid daraus macht: die
Elegie trist. 4,10 ist als Unterrichtsprojekt aufgearbeitet und im WWW
verfügbar unter der Überschrift "Ovid: Leben und Werk - eine Einführung anhand der Elegie trist. 4,10". Es handelt sich dabei um eine ursprünglich in der Reihe "Beiträge zur Gymnasialpädagogik" des Bayerischen Philologenverbands veröffentlichte Arbeit, die ein Sequenz von etwa 6 Stunden abdeckt und mit Text, Kommentar, Arbeitsübersetzung, Begleitmaterialien versehen ist. Die Druckfassung war etwa 80 Seiten lang, sie ist nun so gut wie
vollständig für die Bedürfnisse des WWW umgearbeitet und steht als Anregung und zur Benutzung zur Verfügung: http://www.kirke.hu-berlin.de/ovid/inhalt.html
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Allerdings stellt sich die Frage, ob man das Internet nur als Begleitung für
einen traditionellen Unterricht nützen will. Wenn die technischen
Voraussetzungen an der jeweilige Schule stimmen, dann kann man die Schüler
auch selbst auf Entdeckungsreise gehen lassen. Da überall auf der Welt
Latein gelehrt wird und damit auch Ovid, ist es ein leichtes, internationale
Gesprächspartner zu finden - eine Art von virtuellem Schüleraustausch, der
sehr wohl zeigen kann, daß Latein kein Hemmschuh für die Verständigung ist, sondern im Gegenteil als Basis, Medium und Inhalt dienen kann.
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Den methodischen Möglichkeiten sind kaum Grenzen - allenfalls Grenzen der
Phantasie - gesetzt. Was hindert zum Beispiel daran, mit einer Ovid-Klasse
der - sagen wir - italienischen Partnerschule auf die Suche nach
Rezeptionsdokumenten zu gehen und per Email über das Gefundene zu
diskutieren? Auch Texte und Bilder lassen sich ja problemlos auf diesem Weg
übermitteln, Postlaufzeiten spielen keine Rolle. Man kann sich sogar zum
Chat, zur virtuellen Plauderstunde, verabreden. Ihre Schüler, oder zumindest
einige von ihnen, gewiß nicht immer die besten Lateiner, wissen Bescheid.
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Die moderne Techik tritt bei einem solchen Vorgehen in den Dienst der
Antike. Sie ist also keine Bedrohung, wie ein vulgär-fortschrittsgläubiges
Denken suggerieren könnte, sondern die ancilla philologiae. Mit Fug und
Recht läßt sich Ovids Dictum zitieren: laudamus veteres sed nostris utimur
annis.
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