Bibliotheca Teubneriana Latina (BTL-2). Wissenschaftliche Leitung: Paul Tombeur, Centre Traditio Litterarum Occidentalium. München: Saur - Turnhout: Brepols 2002. Euro 998,--.[1]

Mit nur leichter Verspätung gegenüber der ursprünglichen Ankündigung ist die zweite Ausgabe der BTL erschienen, über deren prinzipielles Anliegen und zugrundeliegende Recherchesoftware bereits in Gymnasium 108 (2001) 279-283 (sowie unter http://www.telemachos.hu-berlin.de/database/libri/btl-rez.html mit erläuternden Screenshots) berichtet wurde. Hinzugekommen sind nun vor allem spätantike und auch mittelalterliche Texte, vor allem Rhetoriker, Grammatiker und Kommentatoren wie Charisius, Aelius Donatus, Servius (einschl. Servius auctus), Alcuin sowie eine lange Reihe anonymer Traktate, so daβ nun ein wichtiger Teil der Sprachliches betreffenden Fachliteratur zur Analyse verfügbar ist. Dadurch ist es möglich, auch jenseits der "Höhenkammliteratur" die sprach- und deutungsgeschichtliche Entwicklung der lateinischen Sprache und Literatur (und hier wiederum: vor allem Vergils mitsamt den Vergilviten) bis in die Spätantike und darüber hinaus zu verfolgen. Literarische Texte wurden nur in geringer Anzahl hinzugefügt, eine der Ausnahmen ist das Testamentum porcelli (4. Jh.).
Die Erwartung, daß die BTL ein wichtiges, ja für manchen unverzichtbares Arbeitsinstrument werden würde, war schon in der Besprechung der ersten Lieferung geäußert worden (das findet sich zum Erstaunen des Rezensenten auch im aktuellen Verkaufsprospekt zitiert - natürlich ohne die seinerzeit gemachten Einschränkungen) und hat sich seither bestätigt. Gerade deshalb seien erneut einige Monita und Gravamina vorgebracht, da sich leider hier nichts zum Besseren gewendet hat:

1. Das Handbuch ist in einem für ein fast 1000 Euro teueres Produkt deplorablen Zustand. Noch immer finden sich Formulierungen wie "Die für die grammatikalischen Texte eigentümlischen (sic) Formen sind in der adequatesten (sic) Weise kodiert worden" (19) oder monströse Gebilde wie "Mit Hilfe des Menüs Liste kann man eine Selektionsliste visualisieren, die eine Teilmenge des Gesamtindex enthält und den Kriterien entspricht, die man in das dieser Liste entsprechende Suchfeld eingegeben hat" (27). Wer nicht durch die Praxis schon weiβ, was gemeint ist, wird hier lange rätselnd verharren. Ist es denn von den beteiligten Verlagen wirklich zu viel verlangt, daß ein "native speaker" sich des Textes annimmt und ihn leserfreundlich gestaltet?

2. Mag das nun - je nach Disposition - Anlaß zu Ärger oder Amüsement sein, so ist es gravierender, daß es noch immer keine Liste der gegenüber den zugrundliegenden gedruckten Editionen stillschweigend vorgenommenen Korrekturen gibt (vgl. die Rez. von BTL-1, hingewiesen sei auch auf die noch nicht berücksichtigte, wiewohl bequem zugängliche Liste der Errata von W.-W. Ehlers zu seiner Valerius Flaccus-Edition [1980] in: Ratis vincet omnia, hg. M. Korn u. H.J. Tschiedel, 1991, 34). Eine Textdatei als Appendix, eine WWW-Seite oder wenigstens ein Hinweis im "Memento", wo ja die verwendeten Editionen genannt sind, wären für die wissenschaftliche Verwendung dringend erwünscht.[2] - Die anlagebedingte Beschränkung auf Teubnertexte hat manchmal kuriose Folgen: Da es keine aktuelle Vergil-Teubneriana gibt, wird die Edition O. Ribbecks von 1895 verwendet, worin Aen. 6,893-896 (die Beschreibung der beiden Unterweltspforten) athetiert ist. Diese Passage ist zwar in "[ ]" beigegeben, aber da Ribbeck als Konsequenz aus der Athetese in 898 porta eburna zu porta averna konjiziert hatte, ist hier der heute anerkannte Text nicht recherchierbar.[3] Solches sei vor allem deshalb mit Nachdruck betont, da zum einen der Saur-Verlag im Verkaufsprospekt davon spricht, die BTL biete die Texte "der Standardausgaben (editiones maiores) der gesamten klassischen Literatur", und zum anderen die Erfahrung lehrt, daβ so mancher Nutzer im Zweifelsfall lieber zu einem bequem vorhandenen Hilfsmittel greift (also zu einer CD im eigenen Computer oder einem Universitätsnetzwerk), statt den mühevolleren Weg in die Bibliothek zu wählen und kritischen Textvergleich zu betreiben.[4]

3. Auch daß es jenseits von Windows 95/98 neuere Versionen gibt (2000, ME, XP), hat in der Installationsanleitung (46) noch keinen Niederschlag gefunden. Das ist keine bloße Marginalie, vielmehr böte sich, nähme man die Fortentwicklung der Betriebssysteme technisch ernst, die Chance, die wenig befriedigende Transkription griechischer Wörter (jetzt g-hoioi g-nun g-brotoi g-eisin) durch eine Unicode-basierte Lösung zu ersetzen und damit auf den Stand des aktuell Möglichen zu bringen.[5]

4. Die Software bietet zwar eine Reihe von ausgefeilten Optionen (vorgestellt bereits anhand der BTL-1), verwehrt es aber dem Nutzer, eigenen Bedürfnissen entsprechende Möglichkeiten zu kreieren. Besonders daβ der Satz (bzw. bei Aktivierung der entsprechenden Option: drei Sätze) als zugrundeliegende Analyseeinheit gewählt wurde, macht die Ergebnisse bisweilen inkonsistent (es soll hier gar nicht um linguistische Fragen gehen): z.B. gilt die ganze lange Passage Ov. met. 4,31-52 als ein einziger Satz, obwohl mehrere abgeschlossene Redebeiträge der Minyaden darin enthalten sind. Aber da hier (und auch in vergleichbar behandelten Fällen) die das Satzende markierenden Punkte innerhalb der Anführungszeichen stehen, ansonsten nur Semikola zur syntaktisch-semantischen Gliederung verwendet werden (ed. Anderson, 1981), ist dies bei der Auswertung nicht berücksichtigt worden. In met. 15,870 wird nicht einmal das "!" im Versschluß faveat precantibus absens! als satzschließendes Zeichen erkannt, so daß die ersten zwei Verse der Sphragis noch zum in 15,861 beginnenden Schlußgebet gerechnet werden, das demnach nicht bis 870, sondern bis 872 reicht. Hier und in vielen ähnlich gelagerten Fällen ist dringend manuelle Nacharbeit durch die Herausgeber geboten, zugleich ist das ein Beleg dafür, welche Auswirkungen die Praxis der Zeichensetzung bei unterschiedlichen Herausgebern noch nach Jahren und Jahrzehnten haben kann.

5. Dem Nutzer wäre weiter gedient, wenn es zum vordefinierten "Einfachmodus" der Recherche einen möglichst frei konfigurierbaren "Expertenmodus" gäbe. Und schließlich sei der Wunsch nach einer flexibleren Export- und Kopiermöglichkeit (die etwa das Kopieren von einzelnen Wörtern, nicht nur des gesamten Satzes erlaubt)wiederholt, was dem Einsatz in der Lehre sehr zugute käme.

Um nun aber nicht ungerecht zu schließen: Daß die BTL nicht das lateinische Pendant zum griechischen TLG ist, ist nicht ihr, sondern allenfalls den Umständen anzulasten. Die BTL mit all den Tugenden, die ihr bereits anläßlich der Erstausgabe attestiert wurden, darunter - nach dem Geschmack des Rezensenten besonders hilfreich - die hohe Recherche-Geschwindigkeit (darin beispielsweise der TLG-Workplace-Software hoch überlegen, was vor allem bei Mehrfachrecherchen Zeit und Nerven spart), bildet vielmehr ein mächtiges Hilfsmittel, das derjenige, der es einmal kennengelernt hat, für Forschung und Lehre nicht mehr missen möchte. Daß man aber noch manches besser machen kann - namentlich was Handhabung und Dokumentation betrifft -, das sollten die kritischen Anmerkungen unterstreichen - hoffentlich nicht zu spät.

Anmerkungen

[1]: Das ist der Preis für Erstkäufer, Bezieher einer Fortsetzungslieferung haben EUR 548,-- zu entrichten; Schulen bei Erstkauf EUR 548,--, bei Fortsetzungslieferung EUR 268,--; Netzwerklizenzen kosten (je nach Zahl der gleichzeitig möglichen Zugriffe) zwischen EUR 49,-- und EUR 1204,-- Aufpreis (Der Saur-Verlag hat kein Rezensionskontingent aufgelegt, sondern fordert die zur Verfügung gestellten Exemplare der BTL-2 nach spätestens drei Monaten zurück - ein bedauerlicher Trend, der die Berichterstattung erschwert; fast ganz verhindert wird sie in Fällen wie der CD-Rom-Version des Neuen Pauly, die vom Metzler-Verlag überhaupt nicht [bzw. nur als minimalisierte Demo-Version] für Rezensionen freigegeben ist).

[2]: Dem Memento zum Pervigilium Veneris (dem bisher einzigen Text der Anthologia Latina) ist zu entnehmen, daß für die Anth. Lat. Shackleton Baileys (fragmentarische) Ausgabe verwendet werden soll, ein angesichts der umstrittenen notorischen Konjekturfreudigkeit Sh.B.s und des Fehlens eines kompensierenden kritischen Apparats recht zweischneidiges Unterfangen.

[3]: Ein weiterer Effekt: Ennius wird nach Vahlen (1903), nicht nach Skutsch (Cambridge 1967, Oxford 1985) gegeben, Lucilius nach Marx (1904), nicht nach Krenkel (Berlin/Leiden 1970), ein fundamentaler Unterschied zum Thesaurus linguae Graecae, wo die zugrundeliegenden Texte nicht nach Ver- lagskategorien ausgewählt werden.

[4]: Wünschenswert, wenn auch recht aufwendig wäre eine Homogenisierung von Formen wie adversus und advorsus, so daĻ diese bei der Recherche analog zur gleichrangigen Behandlung von v und u für den Halbvokal in einem einzigen Resultat aufscheinen.

[5]: Vgl. U. Schmitzer, Alte Geschichte, in: S. Jenks, S. Marra (Hg.), Internet-Handbuch Geschichte, Köln, Weimar, Wien 2001, 40f.

 

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Erstveröffentlichung: 24. Mai 2002 Letzte Änderung: 27. April 2003
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