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Wie klangen Ovids Metamorphosen?

 

 

Einführung

Wie klangen Ovids Metamorphosen? - Rekonstruktion und Rezitation

Der Ovid-Saal in den Neuen Kammern in Potsdam-Sanssouci in Bild, Text und Ton

 

 

In nova fert animus mutatas dicere formas / corpora ... - "Lust wird rege zum Sang, wie sich Formen in andere Körper / wandelten." Der Dichter Ovid (43 v.Chr. - 17 n.Chr.) beschwört mit den Eingangsversen seines Epos Metamorphosen Bilder, Texte und ihren Klang gleichermaßen herauf. Alle drei Aspekte werden im Ovid-Projekt als ästhetische Synthese präsentiert: Fotos, die hier erstmals veröffentlicht werden, zeigen die vergoldeten Stuckreliefs mit Metamorphosen-Szenen, die die Ovid-Galerie der Neuen Kammern im Park Sanssouci schmücken. Diese Bilder werden jeweils von einer kurzen Einführung in Mythos und Ikonographie begleitet. Die Texte der zugehörigen Metamorphosen-Passagen werden nicht nur als deutsche und lateinische Leseversion geboten, sondern in beiden Sprachen auch rezitiert. Ziel für das Lateinische ist dabei, der rekonstruierten Aussprache des klassischen Latein zu folgen, deren Grundsätze in einem Regelwerk zu Prosodie und Metrik zusammengefasst sind. Glossar, Bibliographie und kommentierte Linkliste bieten ergänzende Informationen.

 

Das wissenschaftliche Projekt entstand unter der Leitung von Dan Drescher (Gesamtleitung) und Marita Müller (Kunstgeschichte) als Gemeinschaftsarbeit von jungen angehenden und gestandenen Berliner und Potsdamer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zumeist an die Klassische Philologie der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Potsdam gebunden waren oder sind. Erste Ergebnisse wurden während der 2. Berliner Langen Nacht der Wissenschaften im Juni 2003 an der Humboldt-Universität einem breiteren Publikum präsentiert. Nun, im Oktober 2004, da sich die Wege der am Projekt Beteiligten mehr und mehr trennen, betrachten wir es vorerst als abgeschlossen.

 

Im Rahmen des Spracherwerbs der lateinischen Sprache in Schule und Universität stehen naturgemäß die antiken Texte im Mittelpunkt. Immer mehr wird zur Illustration der antiken Kultur und ihrer Texte auch auf Bilder zurückgegriffen, die - wie Fresken und plastische Darstellungen - aus der Antike selbst erhalten oder spätere Zeugnisse der Antikenrezeption sind. Aber wie klangen die Verse Ovids? - Das Ovid-Projekt will diese Frage beantworten; es richtet sich demgemäß an alle, die eine Antwort darauf suchen, besonders an Lernende und Lehrende in Schule und Universität.

 

Die Beantwortung der Frage nach dem Klang der Hexameter Ovids ist kein philologischer Selbstzweck. Latein ist zwar - von Ausnahmen wie beispielsweise dem Vatikan und den Zirkeln einiger weniger sympathischer Enthusiasten abgesehen - eine Sprache ohne aktive Sprachgemeinschaft, aber irgendwie müssen die zu lernenden und lehrenden lateinischen Wörter ausgesprochen werden. Da dort, wo Latein gelehrt wird, zumeist Wortschatz und Syntax des klassischen Latein die Grundlage bilden, also der Hochsprache Roms ca. der zweiten Hälfte des 1. Jh. v.Chr., liegt es nahe, auch die Aussprache- und Vortragspraxis dieser Zeit zur Norm zu nehmen.

 

Ein wichtiges Charakteristikum der Prosodie, also der Aussprache, des klassischen Latein ist die Unterscheidung von langen und kurzen Silben, die wiederum Grundlage des Wortakzentes und der Metrik ist. Richtiges Aussprechen ist ein Differenzierungs- und Wiedererkennungsprozess, der nicht nur das Einprägen grammatischer Formen und des Vokabulars, insbesondere von Homonymen, Worten gleicher Schreibung, aber unterschiedlicher Bedeutung, sondern auch die Analyse metrischer Strukturen erleichtert. De gustibus disputandum est  (Über Geschmack lässt sich streiten) - doch auch ein gewisser Wohlklang lässt sich als Argument für eine einheitliche und differenzierende Aussprache anführen.

 

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Grundlage unserer Überlegungen und Rezitation ist also die sogenannte wiederhergestellte historische Aussprache (pronuntiatus restitutus, auch pronuntiatio restituta) der Goldenen Latinität, eben der klassischen Zeit. Verschiedene Anhaltspunkte für die Rekonstruktion sind durchaus vorhanden; so lassen sich aus fünf Bereichen Erkenntnisse gewinnen: 1. schriftliche Wiedergabe, 2. Sprachgeschichte, 3. Sprachkontakte, 4. Rhetorik, 5. Zeugnisse antiker Fachautoren. Beispielsweise können für die Aussprache von /c/ vor /e/ und /i/ wie [k] folgende Zeugnisse herangezogen werden:

  1. Schreibungen wie in einer Inschrift KERI (CIL I2 445, für Cereri: "der Göttin Ceres"),

  2. der Befund des Romanischen wie logudoresisches (Dialekt im NW Sardiniens) kentu < lat. centum ("hundert"),

  3. griechische Schreibungen wie Κικρων = Cicero und Lehnwörter wie deutsches Keller < lat. cellarium oder keltisches cengal (/c/ gesprochen als [k]) < lat. cingulum ("Gürtel"),

  4. die Alliteration in der Formel censuit consentit conscivit (Livius 1,32,13: "er gab sein Votum ab, er stimmte zu, er beschloss mit"),

  5. das Zeugnis des Rhetorikprofessors Quintilian (35-100 n.Chr.) in seinem Rhetoriklehrbuch Institutio oratoria 1,7,10, der ganz beläufig argumentiert, es bedürfe nicht des Buchstaben /k/, wenn ein /a/ folge, weil der Buchstabe /c/ doch vor allen Vokalen seine Kraft behalte.

Neben dem Versuch einer dem derzeitigen Forschungsstand entsprechenden Aussprache der lateinischen Laute und Silben steht dabei insbesondere das Bemühen im Vordergrund, die prosodischen und metrischen Gegebenheiten des Textes zu realisieren: Einerseits sollen die Quantitäten der Silben möglichst genau umgesetzt werden. Andererseits wird der Wortakzent der lateinischen Prosa auch bei der Gedichtrezitation beibehalten, dagegen der in antiker Versdichtung ursprünglich nicht vorhandene Iktus vermieden. Wir rezitieren also ohne den in der Schulmetrik bislang - wider besseren Wissens, aber entschuldigt durch didaktische Erwägungen, immer noch - üblichen Versiktus, sondern mit ursprünglicher Wortbetonung und unter strikter Beachtung der Längen und Kürzen der Silben.

 

Uns ist klar, dass sowohl die Rekonstruktion der Aussprache und mehr noch unsere Realisierungsbemühungen nur eine Annäherung an die historische Aussprache sind: "Dem Forscher kann es gelingen, das phonologische Inventar einer Alten Sprache zu sichern, doch im Augenblick der Wiedergabe muß er auch phonetische Nuancen realisieren, die sich nicht mehr erschließen lassen. Lautarchäologie muss darum immer approximative Rekonstruktion bleiben, die zum Widerspruch reizt." (Teuber 1984, 538)

 

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Die Besucherinnen und Besucher unserer Seiten können sich dem pronuntiatus restitutus auf zweierlei Wegen nähern: entweder deduktiv - vom Hören der Rezitationen einzelner Metamorphosen-Abschnitte zum Regelwerk oder induktiv - in umgekehrter Richtung. Ausgangspunkt für den induktiven Weg ist das Regelwerk zu Prosodie und Metrik des klassischen Latein, das mit ausgewählten Quellen im Original und in Übersetzung verlinkt ist (in der druckfreundlichen pdf-Fassung sind die Quellen in das Regelwerk integriert). Beides wird durch ein alphabetisch geordnetes Glossar ergänzt, das sowohl allgemein einführenden Charakter hat als auch Fachtermini erläutert. Für die Rezitationen ist eine Übersichtsseite "Ovid - Texte" Ausgangspunkt. Von hier aus führt der Weg zu den lateinischen Textfassungen, zu denen parallel eine deutsche Übersetzung sowie eine lateinische Fassung geboten werden, in der als didaktische Hilfe lange Vokale und der Wortakzent bei mehr als zweisilbigen Wörtern mit Längen- bzw. Betonungszeichen gekennzeichnet sind. Beide lateinische Fassungen sind im pdf-Format ausdruckbar und stehen somit bequem zur Kontrolle, zum eigenen Üben und zum Übersetzungsvergleich zur Verfügung. Von allen Seiten aus sind schließlich die Rezitationen der einzelnen Mythen - in vertretbaren Dateigrößen, d.h. Textabschnitten - abrufbar.

 

Bewusst haben wir Ovid (und nicht beispielsweise Cicero oder Vergil) als Repräsentanten dieser Sprachnorm gewählt. Die Neuen Kammern, eines der Schlösser im Schlosspark von Potsdam-Sanssouci, zeichnen sich insbesondere durch ihre Ovidgalerie aus. Dieser Prunksaal wird von vierzehn vergoldeten Stuckreliefs geschmückt, die Szenen ausgewählter Mythen aus Ovids Metamorphosen zeigen. Diese Mythendarstellungen sind der zweite Ausgangspunkt unseres Projekts.

 

Einführend wird der Ovidsaal als Teil der Neuen Kammern und sein Bildprogramm vorgestellt. Eine Übersichtsseite führt dann zu den einzelnen Reliefs, deren Fotos hier erstmals in dieser Form veröffentlicht sind. Neben den Fotos stehen in knapper Form eine Einführung in den jeweiligen Mythos und ein kunsthistorischer Kommentar.

 

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Bibliographie (z.T. in Auswahl) und kommentierte Linkliste zeigen, worauf unsere theoretischen Überlegungen beruhen und was uns an- oder aufregte.

 

Besonders viele Einsichten verdanken wir den Büchern von W. Sidney Allen: Vox Latina. A Guide to the Pronunciation of Classical Latin (Cambridge 1965); Edgar Howard Sturtevant: The Pronunciation of Greek and Latin (Groningen 21968); Manu Leumann: Lateinische Laut- und Formenlehre (München 1977), den Aufsätzen von Wilfried Stroh (1981, 1990) sowie den Publikationen der Societas Latina in Saarbrücken.

 

Textgrundlage ist die Ausgabe in der Bibliotheca Teubneriana: P. Ovidii Nasonis Metamorphoses, herausgegeben von William Anderson (Leipzig 31985). (Die neue Textausgabe von Richard J. Tarrant in den Oxford Classical Texts, Oxford 2004, kam für uns zu spät.)

 

Hilfreich war uns die Prosa-Übersetzung von Michael von Albrecht: Ovid. Metamorphosen. Lateinisch/Deutsch (Stuttgart 1994 u.ö). Da wir jedoch aufgrund der besonderen ästhetischen Kraft metrisch gebundener Rede und der mit ihr verknüpften leichteren Memorierbarkeit unbedingt eine metrische Übersetzung neben den lateinischen Text stellen wollten, entschieden wir uns nach dem Vergleich mehrerer Übersetzungen für die von R. Suchier in der Bearbeitung von L. Huchthausen (Berlin/Weimar 31982).

 

Die Schwächen der uns vorliegenden Übersetzungen reizten Miriam und Simon Bernart, die von ihnen gelesene Passage eigenständig in deutsche Hexameter zu übertragen.

 

Am Projekt waren beteiligt: Miriam und Simon Bernart, Dan Drescher (Verantwortlicher: Gesamtprojekt, Prosodie und Metrik, Webdesign), Dankfried Gabriel, Anne Glock, Mark Marten (Fotos), Nina Mindt, Marita Müller (Verantwortliche: Kunstgeschichte), Beate Nick, Hinnerk Otten, Dorothea Prell, Katharina Riewe (Verantwortliche: Webdesign), Valérie Sinn, Ingo Zempel.

 

Die Beteiligten haben sich nach ihren Kräften und unterschiedlichen Möglichkeiten in die Realisierung des Projektes eingebracht. Für die Rezitationen gilt: Bona facilius discuntur quam dediscuntur mala. ("Das Gute ist leichter an- als das Schlechte abtrainiert.")

 

Wir freuen uns über Anregungen und Kritik (→ Impressum).

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Copyright © 2004, Mutatas dicere formas: Ovid-Projekt Berlin/Potsdam

Zuletzt aktualisiert: 01.06.2005